Hey ihr Lieben,
wir Curvys werden täglich mit vielen Vorurteilen konfrontiert! Bist du übergewichtig, ist deine Gesundheit gefährdet, du bist faul, ungezügelt, ohne Disziplin, ungepflegt und lebst in Völlerei… Jeder von uns weiß, dass das auf sehr sehr viele übergewichtige Mädels nicht zutrifft.
Meine Lage hat sich vor ein paar Monaten stark geändert. Nicht weil ich über Nacht erschlankt bin, sondern weil ich nun eine Diagnose habe: Lipödem. Bei Lipödem handelt es sich um eine genetische und hormonell-bedingte Fettverteilungsstörung, die im Volksmund unter „Säulenbeinen“ oder „Reiterhosen“ bekannt ist und zum unkontrollierten Anwachsen der Fettmasse an den Beinen (und oft auch Armen) führt.
Doch was hat sich nun für mich geändert? – dick bin ich weiter.
Es entstanden zwei sehr starke Gefühle:
Einerseits fühlte ich mich enorm erleichtert. Hört sich dämlich an, oder? Doch plötzlich wurde ich aus dieser Schuld entlassen, die vielen Übergewichtigen nachgesagt wird. ES LIEGT NICHT AN MEINER DISZIPLIN. Seit ich 12 bin habe ich mindestens eine neue Diät pro Jahr ausprobiert. Ich habe an Ernährungs- & Sportberatungen teilgenommen, dickflüssige Shakes getrunken; Shakes, die schmeckten wie Mehl in Wasser gerührt; ich habe eine Woche lang nur Äpfel gegessen (<- Jugendlicher Zorn; dumme Idee); ich habe Kalorien gezählt, exzessive Sporteinheiten in mein Leben eingebaut, Punkte gezählt, Low Carb gelebt, alle Kohlenhydrate, und so auch sämtlichen Zucker und Fett verbannt und und und…. Nie war ich gut genug in dem was ich dies bezüglich mache. Ich würde gar nicht sagen, dass man mir direkt Vorwürfe machte. Doch ich machte sie mir! Du hast wieder nicht durchgehalten (dich nur von Äpfeln zu ernähren), du warst nicht standhaft genug, du hast gesündigt und ja du hattest Erfolg, aber hier ist das Jojo und schon hast du alles wieder verspielt. ES. IST. DEINE. SCHULD. – und nun bin ich nicht mehr Schuld. Schuld sind Gene und Hormone. Das Lymphsystem ist Schuld. Und was mich mittlerweile noch viel wütender macht: jede dieser Diäten ist Schuld, dass ich dick bin. Jedes Jojo mit Extra-Kilos, jede schädigende einseitige Ernährung und jeder Frust, dass ich an den Beinen nicht abnahm, war Schuld, dass ich nun so übergewichtig bin. Ich glaube fest daran, dass wenn wir (ich und meine Familie) gewusst hätten, dass es eine Krankheit ist, ich wesentlich weniger übergewichtig wäre. Denn als ich damit anfing Diäten zu machen, war ich höchstens ein moppliges Kind.
Doch neben der Erleichterung hatte ich noch ein viel stärkeres Gefühl tief in meinem Bauch. – okay vielleicht eher ein Gefühlscocktail. Er bestand aus Trauer um mein unbeschwertes Leben, Angst vor einer unbekannten Krankheit und Wut über die ganze Situation. Wahrscheinlich Gefühle, die jeder Kranke durchmacht – und es gibt unzählige Kranke, die zudem noch um ihr Leben fürchten. Dieser Gedanke ermahnt mich jeden Tag, mit dem Jammern aufzuhören – denn schlimmer geht es immer. Erst vor kurzem musste ich Zusehen wie eine liebe Freundin durch die Schrecken einer Krebserkrankung ging – also nutze den Tag und das Leben voll aus – egal, was dich hindern will! Die Trauer um mein bisheriges Leben ist verflogen, denn ich habe nur das eine hier – nichts davon ist „tot“. Die Krankheit kenne ich mittlerweile so gut, wie es die Wissenschaft zulässt. Leider ist dieses gerade ein Problem. Viele Mediziner (und da habe ich auch schon meine Erfahrungen gemacht) kennen sich leider mit Lipödem gar nicht aus. Die Krankheit wird entweder nicht erkannt (und Adipositas vorgeschoben), Halbwissen führt zu schweren Fehlern bei der Behandlung oder pure Ignoranz legt Erkrankten neue Steine in den Weg. Und daher ist meine Wut nicht gewichen, sie hat sich nur verlagert. Die Wut bezieht sich nicht mehr auf ein „Schicksal“ oder meinen Körper/meine Gene/irgendwelche Diäten! Meine neue Wut betrifft das Gesundheitssystem – Ärzte, die nicht sagen können „Das weiß ich leider nicht!“; Krankenkassen, die lieber jedes halbe Jahr 600€ für Kompressionsstrumpfhosen (ein Leben lang) genehmigen, als eine oftmals erfolgsversprechende Operation, und Angst auf eine Gesellschaft, die eigentlich kaum hören möchte, dass man keine faule Dicke ist.
Ihr merkt, ich habe viel zu sagen zu diesem Thema und das werde ich mir auch nicht nehmen lassen. Sicher, manchen aus unserer Plus Size Community ist das Thema schon zu viel und viele von den anderen lesen nicht gern über Krankheiten. Trotzdem möchte ich meine Reichweite und meine Kontakte nutzen. Um Aufzuklären, um Akzeptanz zu schaffen, um Eventuell-Kranke wachzurütteln UND damit vielleicht Eltern junger Mädchen das hier lesen, die wie ich und meine Eltern waren – die mit aller Verbissenheit zum Schlanksein den Zustand noch verschlechtern.
Wichtig ist mir, dass das Bild von Übergewichtigen auf den Kopf gestellt wird. Bin ich als Kranke nun eine „gute Dicke“?! Und sind andere Nicht-Kranke „schlechte Dicke“?! AUF GAR KEINEN FALL. Man sollte nur wissen, ob bei allem Schlankheitswahn nicht eine Krankheit im Weg steht, die im Alter enorme Probleme machen kann und wird.
Woran erkennt ihr, dass ihr unter Lipödem leidet:
- ihr seid weiblich
- habt übermäßig starke Oberschenkel/Unterschenkel/Arme im Vergleich zum Rest des Körpers
- vermehrt blaue Flecke ohne Erklärbarkeit oder auch nur bei leichten Stupsern
- Druckempfindlichkeit – kleine Berührungen führen schon zu Schmerzen
- im fortgeschrittenerem Stadium: viele kleine Knötchen unter der Haut und Beulen, die nichts mehr mit Orangenhaut zu tun haben
- viel schlankere Hände und Füße (im Gegensatz zu Rest)
- gleichmäßige, symmetrische Fettanlagerungen auf BEIDEN Seiten (BEIDE Arme, BEIDE Beine)
- schnelle Ermüdung des betreffenden Körperparts und weiter auch Schmerzen, wie nach einem Ganztages-Shopping-Marathon bis hin zu starkem Stechen
Ihr werdet in Zukunft mehr zum Thema Mode, Sport, Ernährung und sonstige Schwierigkeiten bei Lipödem lesen. Seid ihr auch Betroffene? Was interessiert euch alles zu dem Thema? Ich freue mich auf eure Meinungen und Kommentare!
Einen dicken Kuss an euch,
eure Stephie
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