Die allwissenden Götter in Weiß – Ärzte-Gruselgeschichten von Lipödem-Patienten

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Ihr Lieben,

ich möchte mich bei allen bedanken, die so liebe Worte nach meinem letzten persönlichen Post über das Lipödem für mich parat hatten. Die Lesezahlen, Likes und Kommentare haben mich und auch Bianca schier überwältigt. Vielen Dank für eure Anteilnahme.

Viele von euch haben mir ihr Mitgefühl bekundet, dass ich meiner Meinung nach gar nicht verdient hatte. Auch wenn diesem Thema einen großen Platz im Internet und in sonstigen Medien gebühren sollte, ist das Lipödem nichts, was mich in irgendeiner Weise von etwas abhalten wird. Okay gut – Heidi’s next Girl werde ich mit dem Lipödem wohl nicht. Ob ich das je wollte, sei mal dahingestellt.

Und dank dieses Gedankenspiels wären wir auch schon beim neuen Thema. Dass ich nie eines von Heidis Topmodels werde, hat mir nämlich mein Hausarzt vor ein paar Jahren schon gesagt. Ähm ja, wie schon gesagt, nicht, dass ich das je wollte – aber darf mir sowas ein Arzt ins Gesicht sagen. Sicher meinte er es nicht böse und 95% der deutschen Bevölkerung  wird wohl nie eines von Heidi’s Mädchen – aber steht es einem Arzt zu, ein solches Urteil über mein Leben zu fällen?

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(c) pixabay.com

Besonders beim Lipödem (um das es btw gar nicht ging damals) sind mir allerdings so haarsträubende Geschichten untergekommen, dass sie hier dringend Platz finden müssen.

„Liebe Frau Lüer, das Fett muss ja schließlich irgendwo hin!“

Ja, dieser Satz kam mir im März unter, als ich mich endlich wegen der Beine zum Arzt schleppte. Nein, ich war nicht wieder bei meinem Klum-Dorf-Hausarzt. Ich war tatsächlich bei einem Gefäßchirugen. Eigentlich bei einem Spezialisten, von dem man etwas Ahnung vom Lipödem hätte erwarten könnte. Ich habe es ihm leicht gemacht und die Diagnose eigentlich schon mitgebracht – wer weiß, ob er so darauf gekommen wäre. Also untersuchte er mich mit einem Ultraschallgerät auf Lipödem und als er das bestätigt sah, sagte er mir tatsächlich, dass es bei einer stark adipösen Patientin, wie ich es bin, ja zu erwarten sei, dass das Fett sich irgendwo anlagert.  Irgendwo müsse es ja schließlich hin. – Gut! Das habe ich geschluckt, aber es ging noch weiter. Als ich ihm ein etwa Handflächen-großes Fettpolster an meinem linken Oberschenkel zeigte, was mich schon einige Zeit beunruhigte, sagte er mir mit einem Glucksen es sei Cellulite – ganz einfache Orangenhaut. Ich glaube, jeder von euch weiß in etwa wie Orangenhaut ausschaut – wie ein glattes Polster in der Art eines entzündeten Insektenstichs? Siehste! Nachdem er mir also die Diagnose stellte und die Kompressionsversorgung aufschrieb, hatte ich noch ein paar Fragen – schließlich kannte ich den Namen „Lipödem“, genauer damit beschäftigt hatte ich mich aber noch nicht. Wie lange muss ich denn nun diese Kompressionsstrumpfhosen tragen, lieber Arzt? Seine Antwort war, dass man 2-3 Monate schon mal aushalten müsse – das ginge ja nicht von heut auf morgen weg. Knapp daneben lieber Arzt. Viele Lipödem-Patienten tragen ihre Strümpfe Jahrzehnte bis ein Leben lang. Auf meine Frage, warum dieses Fett zu blauen Flecken führe (in meiner Vorstellung sollte das Fett doch eigentlich Stöße abpolstern), sagte er, das wisse er auch nicht – ich solle ein Blutbild machen lassen. (Anmerkung der Redaktion: Blutergüsse sind ein Symptom des Lipödems, weil die sich im Fett befindlichen Gefäße sehr dünn sind und leichter platzen.)

Tja, Ärzte – Götter in weiß. Nun ist eine solche Geschichte (von vermeintlichen Spezialisten) keine Seltenheit und deshalb hab ich hier noch zwei weitere für euch.

„Manuela, bild dir doch kein Lipödem ein!“

In der Facebook-Gruppe „Lipödem Österreich“ habe ich nach eben solchen Geschichten gefragt und die liebe Manuela meldete sich bei mir. Diese schrieb mir von einem Erlebnis im öffentlichen Krankenhaus Innsbruck, von dem sie gelesen hatte, dass diese Lipödem-Patienten operieren würden. Lediglich um mal ein paar Informationen zu erhalten, telefonierte sich Manuela – ähnlich wie ich – durchs ganze Krankenhaus, bis sie erfuhr, dass die plastische Chirurgie zuständig sei.

„Mit meiner Flachstrickkompression (Anmerkung: die Strumpfhose, die man verordnet bekommt) und einem Befund einer niedergelassenen Ärztin machte ich mich also auf den Weg. Nach 1 Stunde Warten konnte ich dann zur Ärztin. Diese war selbst nicht wirklich schlank, hat mich aber beim Reinkommen schon von oben bis unten gemustert.“

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Das ist Manuela 🙂

Sie verstand nicht, warum Manuela bei ihr war! „Ich sagte ihr, dass ich ein Lipödem habe, oft sehr schmerzhaft, und ich mich über die Möglichkeit einer Operation informieren möchte, da ich viel Sport treibe und hier doch immer mehr Einschränkungen in Kauf nehmen muss. Sie meinte, ich solle mich mal ausziehen. Informationen zum Krankheitsverlauf oder sonstiges, wollte sie nicht. Kaum hatte ich die Strumpfhose ausgezogen, meinte sie, ich hätte kein Lipödem – das sehe sie gleich. Kein Abtasten, nix. Ja und die Schmerzen, das sei ja kein Wunder, die kommen von meiner Kompressionshose! Die sei ja viel zu fest und zu eng für mich. Ich soll jetzt mal auf die Venenambulanz, weil das wahrscheinlich nicht gut durchblutet ist. Meine Oberschenkel sind ja auch ganz kalt, was ein Anzeichen fehlender Durchblutung sei. Ich dachte, ich hör nicht richtig, denn jeder Lipödem-Betroffene weiß ja, dass Fett nicht warm wird. Naja, ich sagte ihr dann, dass meine Strumpfhose super ist und wenn ich sie trage, die Schmerzen viel erträglicher sind und ich mir das ohne gar nicht vorstellen kann. Darauf ging sie dann nicht mehr ein und händigte mir einen Schein für die Venenambulanz aus. Dann meinte sie, sie muss meinen Fall, so wie jeden, dem Herrn Professor vorlegen und ein Gremium entscheidet, ob man operiert wird. Aber sie wisse jetzt schon, dass der Herr Professor mich sowieso ablehnt, da er keine übergewichtigen Patienten operiert. Ich teilte ihr mit dass ich in einem Jahr jetzt 17kg abgenommen hab, Sport treibe und einen BMI von 26,6 habe und ob das nicht ausreiche für den Herrn Professor?! Immerhin habe ich sehr viel geleistet, damit es mir besser geht. Sie meinte, ja das sei ja alles schön und gut, aber ich habe so gut wie keine Chance, da diese Operationen nur den „schlimmen Fällen“ vorbehalten sind.  Sie meinte weiter, dass die Therapien, die ich bis jetzt gemacht hab, alle überflüssig seien.“

Zwei Monate nach diesem Gespräch hatte Manuela einen Termin in der Spezialklinik Wolfsberg, hier in Österreich. Diese bestätigten ihr Lipödem. Dieses teilte sie auch im Nachgang der besagten Ärztin mit, mit dem Verweis, sie solle sich doch bitte im Bereich Lipödem fortbilden lassen, damit sowas nicht noch einmal passiert. Die Erklärungsversuche dieser „Ärztin“ erspare ich euch an dieser Stelle – erfreut über Manuelas Kritik war sie natürlich nicht. An dich liebe Manuela, meinen gröööößten Respekt, dass du dich von dieser Dame nicht hast entmutigen lassen und eine weitere Meinung eingeholt hast. Viele andere Patienten hätten sich sicher, in ihr angeblich nicht Lipödem-geplagtes Schneckenhäuschen verzogen.

„Caro, such dir doch ein neues Hobby!“

Eine weitere – versprochen kürzere – Anekdote gibt es von unserer Lipödem-Aktivistin Caroline Sprott (Inhaberin des Blogs Lipödem-Mode). Caro kämpft schon länger gegen ihr Lipödem an Beinen und Armen. Kaum hatte sie „das Problem“ an den Beinen „in den Griff“ bekommen, beschlich sie das ungute Gefühl ihre Arme könnten auch betroffen sein – sie hatte plötzlich die Gleichen Schmerzen in den Armen, wie die, die sie aus den Beinen kannte. Also begab sich Caro zu dem Arzt, der sie eigentlich bei den Beinen schon sehr unterstützt hatte und klagte ihr Leid. Was dann kam, habe ich für einen Scherz gehalten, als ich es das erste Mal hört. Der Herr schlug ihr doch ernsthaft vor sich ein neues Hobby zu suchen.

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Caroline – (c) Facebook: Lipödem Mode

Sie erzählt mir: „Ich saß da, war in Tränen aufgelöst, weil ich so frustriert war und traurig, dass das weiterging, obwohl ich so viel dafür getan habe, um es aufzuhalten. Und der Mann sagt mir ‚Vielleicht sollten sie sich mal ein neues Hobby suchen als ihre Krankheit.‘ […] Er war eigentlich immer kooperativ bisher, aber in dem Moment, wo ich ihn eigentlich ganz schön krass gebraucht habe, was eine sensible Herangehensweise an betraf, ging’s halt gar nicht. Also er hat wirklich gesagt ‚Vielleicht müssten Sie mal indisch Kochen oder sowas; sich einfach mal ein neues Hobby suchen! Dann sind Sie auch nicht mehr so gestresst!“

Ich weiß, das war jetzt viel zu lesen, aber bei beiden Geschichten war ich so geschockt, dass ich sie euch einfach erzählen musste. Kann das denn sein, dass Menschen, die sich der Genesung von Patienten verschreiben, so liderlich mit der körperlichen und psychischen Gesundheit von Menschen umgehen. Sicher, sie sind selber nur Menschen und können nicht alles wissen. Aber ist es denn zu viel verlangt von seinem hohen Ross herunterzukommen und zu sagen „Entschuldige, lieber Patient. Ich kenne mich da nicht aus. Gehen Sie doch nochmal zu einem Spezialisten.“ So hat mein neuer Hausarzt übrigens reagiert, bei dem ich letztens erst war, und ich war ihm mehr als dankbar. – Es ist nicht schlimm etwas nicht zu wissen oder sich mit etwas nicht auszukennen. Es zeugt aber von Größe dieses zuzugeben. Denn liebe Ärzte, ihr spielt mit dem Leben und der Psyche eurer Patienten. Solche Aussagen können schlimme Folgen haben.

Habt ihr auch solche Arztgeschichten? Kommentiert mal drunter.

Küsschen, eure Stephie

P.S.: Danke an Caro und Manuela für eure Beteiligung und eure Offenheit. Ihre Beiträge wurden von mir nur Abgeschrieben, etwas gekürzt und kleine Fehler korrigiert. Ansonsten handelt es sich 1 zu 1 um die Worte der Mädels.

4 Antworten zu „Die allwissenden Götter in Weiß – Ärzte-Gruselgeschichten von Lipödem-Patienten”.

  1. Avatar von Joan

    Hat dies auf pretty fashion rebloggt.

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  2. Avatar von Joan

    Hallo Stephie

    Danke für diesen sehr interessanten beitrag.
    Ich bin sprachlos man meint man sei in einem schlechten film.

    Liebe grüsse Joan

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  3. Avatar von Ruth Leitenmaier

    Liebe Stephie, da gibt es noch eine ganze Reihe solcher Erfahrungen. Ich kann da nicht widerstehen und muss auch zwei Knaller bieten. Aus dem Erstdiagnosejahr 2015:
    Termin bei einer bekannten Lymphkoryphäe. “ Von Ihren Abmaßen her sind Sie zu schmal. Das ist kein Lipödem.“ Weiterer Termin kurze Zeit später bei einer Phlebologin: „Ja, Sie haben das. Aber auch die Venus von Willendorf (Anm. d. Verf.: bitte googeln, wenn unbekannt) hatte vermutlich ein Lipödem und nie Kompression.“ Ich wurde dort übrigens mit einem BMI von 23 als übergewichtig eingestuft.

    LG Ruth

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    1. Avatar von Stephie
      Stephie

      Ohje, Ohje man 🙈 Danke dass du das mit uns geteilt hast!

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